Bergflora im Oberengadin III

(Wanderungen in den Gebieten Piz Nair und Alp Grüm)

Der Gletscher-Petersbart (Geum reptans), PE

 

Schutthalden an Berghängen bilden für Bergblumen einen großartigen Rahmen. Jede Pflanze wirkt für sich, sie ist abgesetzt von anderen. Umgeben vom Schiefergrau des silikatischen Gesteinsschutts kommen die Blütenfarben besonders intensiv zur Geltung.

 

Silikatschutthalden zeigen einen anderen Charakter als Kalkschutthalden. Sie sind häufig gut durchfeuchtet, und durch die starke mechanische Verwitterung findet sich auch mehr Feinerde zwischen den Gesteinstrümmern. Das öffnet im kurzen Bergsommer der Flora die Türen, die ein eher saures Bodenmileu lieben. Schuttfluren aus Silikatgestein sind nicht weniger mit Blüteninseln besetzt und von Blumenteppichen bedeckt als die Kalkschutthalden, wenngleich sie eine etwas geringere Artenzahl aufweisen.

 

An einem leicht nebligen und feuchten Morgen Anfang August 2009 nahmen wir die Bergbahnen bei St. Moritz und ließen uns auf den 3057 m hohen Piz Nair – den Hausberg von St. Moritz -  hochtragen. Im Jahr 1997 hatten wir auf der Wanderung durch das Val Brever im Gesteinsschutt auf der Hangrückseite des Piz Nair den Himmelsherold (Eritrichium nanum) und den Alpenmannsschild (Androsace alpina) entdeckt, zwei Edelsteine unter den alpinen Polsterstauden. Diese wollten wir unbedingt wiederfinden und die Florengesellschaft ihrer Umgebung fotografieren. Nachdem sich die Nebelschwaden etwas gelichtet hatten, der Himmel allerdings bedeckt blieb, konnten wir unser Vorhaben – allerdings bei wenig günstigen Lichtverhältnissen – realisieren. Auf einem relativ großen Areal wurden wir fündig und konnten auf dem Weg abwärts weitere Schmuckstücke unter den Alpenblumen ablichten.

So brachte die Wandertour trotz des durchwachsenen Wetters die gewünschte Erfüllung.

 

Im gleichen Jahr sind wir bei herrlichem Sommerwetter Ende Juli von der Station  Ospizio Bernina am Bernina-Pass zu einer Wanderung über die Aussichtsterrasse Sassal Mason (2355 m) zur Alp Grüm aufgebrochen. Nach einem kurzen Abstieg zum Lago Bianco ging der Wanderweg am See entlang bis zur Staumauer. Von dort wanderten wir ständig leicht aufwärts am Berghang entlang durch gesteinstrümmerdurchsetzte Blumenmatten bis zum Aussichtspunkt und Rastplatz Sassal Mason. Von hier weitet sich einerseits ein spektakulärer Tiefblick über einen kleinen Gletschersee (Lagh da Palü) weit ins Val Poschiavo und auf die Bergamasker Alpen und andererseits auf den hoch über uns abtauenden Gletscher des Piz Palü. Unwillkürlich hält man hier den Atem an. Die urgemütliche Berghütte und die aus Flachsteinen kuppelartig aufgeschichteten Steinhäusern (Crotto) als Vorratslager stehen bereits seit 1876 auf diesem Platz und sind ein beliebtes Wanderziel. Es sollen bereits Otto von Bismark, Baron Rothschild und Marcel Proust diesen Ort besucht haben. Auf dem Weg zu diesem Platz begleiten uns Primeln, Soldanellen, Schnee-Enzian, Glockenblumen, rostrote Alpenrosen, Leimkraut sowie Alpenaster und Co.

 

Unser steiler, jedoch unschwieriger Abstieg zur Alp Grüm verläuft in vielen Kehren am Südwesthang des Sassal Mason entlang durch blühende und felsdurchsetzte Hochstaudenfluren mit Meisterwurz, Eisenhut und Alpen-Säuerling, Teufelskrallen und Türkenbund-Lilien, Alpen-Nelken, Arnica und gelbem Ferkelkraut, die von der bärtigen Glockenblume begleitet werden.

Die Bahnstation Alp Grüm liegt auf knapp 2100 m Meereshöhe. Sie ist Haltepunkt der Bernina- Bahn von St. Moritz nach Tirano und beliebter Start- und Zielpunkt für Bergwanderungen. Einkehr und Übernachtungsmöglichkeit besteht in den Häusern Albergo Alp Grüm und dem 100 m höher gelegenen Albergo Belvedere. Von beiden Häusern geniest der Wanderer herrliche Blicke auf das Tal-Panorama des Puschlav, auf die Bergkulisse der Bergamasker Alpen und auf den Gletscher des Piz Palü. Nach ausgiebiger Rast brachte uns die Berninabahn zum Ausgangspunkt unserer Wanderung zurück.

 

Wenn wir heute auf unsere damaligen Urlaube im Oberengadin zurückblicken, dann können wir aus eigener Erfahrung folgende Aussagen über das Bergwandern voll bestätigen: „Bergwandern auf mittleren Höhen wirkt wie ein Gesundbrunnen auf Körper und Geist, befreit die Seele von Ballast, ist lehrreich und macht letztlich glücklich!“

Bilder:    Ulrich und Gerlind Perpeet

Text:      Ulrich Perpeet

 

Weitere Informationen:

 

Berninabahn von St. Moritz nach Tirano (126 Min. inkl. Reklamesequenzen):

https://www.youtube.com/watch?v=iuGAwE_0Rrw

 

Der schönste Schneezug der Welt (39 Min inkl. Reklamesequenzen):

https://www.youtube.com/watch?v=S4DI3Bve_bQ

 

Das Oberengadin

https://www.3sat.de/dokumentation/natur/unsere-wilde-schweiz-1-4-100.html

 

Was-wenn-alle-Gletscher-schmelzen:

thtps://www.ardmediathek.de/video/42-die-antwort-auf-fast-alles/was-wenn-die-gletscher-verschwinden/ndr/Y3JpZDovL25kci5kZS9wcm9wbGFuXzE5NjM1MDYyOF9nYW56ZVNlbmR1bmc

 

Pe, 04/25